Virtuelle Influencer:innen und Models
Werden wir jetzt von Robotern beeinflusst?
Sie haben mehrere Millionen Follower:Innen auf Instagram und modeln für die ganz großen Namen der Modeindustrie. Wer jetzt an Superstars denkt, wie Bella Hadid oder Kendall Jenner, liegt falsch: Virtuelle Models und Influencer:Innen erobern gerade die Online-Welt. Doch wer oder was steckt hinter dem Hype?
Noonoouri, Miquela und Co.
Was genau sind virtuelle Models bzw. Influencer:Innen? Kurz gesagt: virtuelle Influencer:Innen sind computergenerierte Figuren, also 3D-Avatare. Sie ähneln Figuren in PC-Games, finden aber in der „echten Welt“ statt. Generell wird zwischen künstlichen und humanoiden virtuellen Influencer:Innen unterschieden. Während sich sich humanoide virtuelle Models manchmal fast gar nicht von Menschen unterscheiden, lässt sich bei den künstlichen Models ganz deutlich erkennen, dass sie nicht von biologischer Natur sind. Für beide Typen gilt: Sie sind keine künstliche Intelligenzen, die selbstständig Content produzieren. Hinter ihnen stecken immer reale Personen, die den 3D-Avatar gestalten. Wie z. B. der Münchner Grafikdesigner Jörg Zuber. Er ist der Schöpfer von Noonoouri. Die 19-Jährige ist damit die erste virtuelle Influencerin aus Deutschland.
Sie begeistert täglich ca. 371.000 Follower:Innen auf Instagram und modelt für Marken wie Dior, Gucci oder Mugler. Mit ihren großen Augen erinnert Noonoouri sehr an eine Puppe, fast schon an eine Manga-Figur. Bei ihrer Gestaltung entschied sich Zuber bewusst gegen ein menschliches Aussehen. Wobei ein paar ihrer Eigenschaften an ein berühmtes Model der 90er-Jahre erinnern, die sich Zuber zum Vorbild nahm:
“Eine der ersten Inspirationen oder Musen, wenn man das so nennen kann, war für mich immer Naomi Campbell, die immer so dieses Außergewöhnliche, dieses unglaublich Faszinierende eigentlich für mich auch schon hatte.”
Jörg Zuber, Grafikdesigner und Schöpfer von Noonoouri
Besonders wichtig war ihm bei der Kreation von Noonoouri, dass sie keinesfalls Menschen ersetzen soll, sondern eine Diversifikation dessen ist, was es in der Modewelt bereits gibt.
Auch humanoide virtuelle Influencer:Innen faszinieren viele Menschen weltweit – gerade weil sie so menschenähnlich aussehen. Die Erfolgreichste unter ihnen ist Miquela Sousa, auch bekannt als Lil Miquela. Täglich begeistert sie etwa 3 Millionen Follower:Innen auf Instagram, sie ist Musikerin, dreht YouTube-Videos, führt und gibt Interviews. Kreiert wurde die 19-jährige Halbbrasilianerin von einem Start-Up in Los Angeles. Sie existiert auf Instagram seit 2016, ihre Identität als Roboter wurde jedoch erst 2018 offenbart.
Kontrollierbar und eco-friendly
Genau diese Faszination macht die virtuellen Models und Influencer:Innen so interessant für die Modewelt, weil sie Aufmerksamkeit generieren. Sie bringen aber noch weitere Vorteile. Unternehmen, die die Avatare buchen, können nicht nur nach Belieben Haarschnitt, Augenfarbe und Kleidung der virtuellen Influencer:Innen ändern. Skandalöse Verhaltensweisen und kritische Äußerungen der Models, von welchen sich Labels aus Imagegründen distanzieren müssten, sind im Grunde nicht möglich. Es liegt allein in der Hand des Teams, das hinter den virtuellen Influencer:Innen steht, wie der Avatar wahrgenommen wird. Sie kontrollieren den Avatar damit vollständig. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Roboter für einen Job nicht physisch vor Ort sein müssen. Die Umsetzung von Kampagnen findet allein in digitaler Form statt. Das ist nicht nur zu Zeiten von Corona praktisch, wenn Kontaktreduktionen das Gebot der Stunde sind. Frau Dr. Silke Bartsch, Dozentin im Bereich Marketing an der LMU München, erklärt:
„Virtuelle Influencer sind an verschiedenen Locations zur gleichen Zeit einsetzbar, ohne die Reisekosten oder den CO2-Fußabdruck zu erhöhen.“
Frau Dr. Silke Bartsch
Enormer Arbeitsaufwand und Authentizitätsprobleme
Eine der Schattenseiten der virtuellen Models zeigt sich beim Arbeitsaufwand: Während Kylie Jenner und Co. teilweise wenige Minuten für die Erstellung eines Posts brauchen, arbeiten die jeweiligen Teams hinter den Avataren viel länger an einem Beitrag:
„Wir brauchen für einen Post zwischen drei und fünf Tage, für einen Still-Post (…) Und eine Animation, die ist nicht unter zwei Wochen machbar, also zum Teil auch vier bis sechs Wochen.“
Jörg Zuber, Schöpfer des virtuellen Models Noonoouri
Deshalb vermutet Zuber auch, dass es in den nächsten Jahren keinen enormen Zuwachs an virtuellen Influencer:Innen geben wird.
Es gibt aber einen weiteren Grund, der dafür sorgen könnte, dass virtuelle Influencer:Innen keinen großen Zuwachs bekommen könnten.
Eigentlich zeichnet sich die Influencer:Innen-Welt nämlich durch ein Gebot aus: Authenticity is key.
Menschliche Influencer:Innen zeigen vieles aus ihrem Leben, zeigen sich sehr persönlich. Und das ist ihr Erfolgsgeheimnis – dadurch bauen sie Glaubwürdigkeit und eine Bindung zu ihren Follower:Innen auf. Auf den ersten Blick ist das ein Punkt, den die virtuellen Models nicht so einfach erfüllen können: Einerseits gestaltet sich der Bindungsaufbau zwischen Menschen und Robotern als schwieriger als zwischenmenschlichen Beziehungen. Andererseits wäre eine dauerhafte Präsentation ihres Lebens hinsichtlich ihrer Produktionszeit schlichtweg einfach nicht möglich. Die Macher:Innen der virtuellen Models versuchen dennoch, die Roboter authentisch und so persönlich wie möglich zu inszenieren, indem die virtuellen Influencer:Innen auch mal Schwächen zeigen oder Statements zu gesellschaftlichen Diskussionen abgeben.
Verschwimmen von Virtualität und Realität
Ein gutes Beispiel für das künstliche Erzeugen von Nähe und Authentizität ist Miquela Sousa. Sie betitelt sich selbst als „emotional recovering robot“ und erzählt von Sitzungen mit ihrem Therapeuten. In einem weiteren Interview erzählt sie von Kindheitserinnerungen. Ganze zwei Jahre ließ sie ihre Follower:Innen im Unklaren darüber, ob sie ein echter Mensch oder ein Roboter ist. Allein der letzte Aspekt spricht schon dafür, dass „Authentizität“, die zwar von den Influencer:Innen auf Instagram propagiert, dann aber mit dem Einsatz von Filtern und reichlich Photoshop umgesetzt wird, deutlich hinterfragt werden sollte, wenn Robotern schon nicht mehr von Menschen unterschieden werden können. Allgemein brechen virtuelle Models mit ihrem Auftreten und ihren Aussagen die Grenzen zwischen der virtuellen Welt, aus der sie entstammen, und der realen, menschlichen Welt.
Neue Akteure, neue Fragen
Dieses Verschwimmen der Grenzen wirft in der Kombination mit der Beteiligung an gesellschaftlichen Diskussionen weitere Fragen auf: Sollte es nicht transparenter gemacht werden, dass die virtuellen Influencer:Innen keine autonomen Individuen sind und von Menschen gesteuert werden? Könnte die künstlich erzeugte Menschlichkeit von bestimmten Akteuren ausgenutzt werden? Und können die Roboter zu neuen Meinungsmachern werden? Dass wir jetzt von Avataren beeinflusst werden, davon kann noch nicht gesprochen werden – aber unsere Aufmerksamkeit lenken sie definitiv.