Filmkritik
SING STREET
Im Irland der 1980er Jahre hält die soziale Perspektivlosigkeit des Landes einen Schuljungen nicht davon ab, seinen Traum vom Leben als Musiker zu realisieren. Ein Feel-Good-Movie über kreative Teenager, junge Liebe und den Vibe der 80er Jahre.
Conner muss eine Band gründen. Und zwar schnell. Alles nur, damit das Mädchen seiner Träume im Musikvideo mitspielen kann. Das hat er der schönen Rophina nämlich versprochen. Dabei ist Conner doch gerade eben erst in seinem persönlichen Albtraum aufgewacht: Seine Familie hat kein Geld und er wird auf eine neue, erzkatholische Jungenschule geschickt, wo ein Direktor herrscht, der seine Schüler misshandelt und aggressive Schlägertypen ihr Unwesen treiben.
RIDDLE OF THE MODEL
Conner mobilisiert andere Schüler mit musikalischem Potenzial. Angefeuert von den aufmunternden Worten seines Bruders Brendan gibt er sich mit nicht weniger zufrieden als ein Musikvideo wie aus dem Fernsehen zu drehen. In verrückten Kostümen wird der Hinterhof zur Kulisse, die Freunde zur eingeschweißten Band und Rophina zum Model. So entsteht das Video zu Conners selbstgeschriebenem Song „Riddle of the Model“. Die Band „Sing Street“ ist geboren.
Es macht Spaß, Conner und seinen Freunden dabei zuzusehen, wie sie ihrer Kreativität keine Grenzen setzen und alles geben, um den Traum von einer großen Band zu realisieren. Das neu gewonnene Selbstbewusstsein verwandelt Conner und seine Freunde von gemobbten, komischen Außenseitern zu stolzen Rock-Teenagern, die sich entgegen der Schuletikette kleiden und benehmen.
IRLAND 1985
Die Coming-of-Age-Story bietet wenig Vielschichtigkeit und auch der gesamte Handlungsstrang lässt von Beginn an erahnen, welches Happy End die Zuschauer:innen nach 100 Minuten erwartet. Doch das Besondere ist sicherlich der Spielort und die damit verbundenen Andeutungen über die wirtschaftlich-soziale Lage Irlands in den 1980er Jahren.
Dublin ist ein großer sozialer Brennpunkt. Die jungen Menschen haben kaum eine Perspektive. Wer klug ist und genug Geld hat, flieht nach England, um dort Arbeit zu finden. Familien brechen auseinander, weil die sexuell motivierten und spontan getroffenen Ehen der vorherigen Elterngeneration kaum Bestand haben. Sex vor der Ehe und Scheidung sind im konservativen und katholischen Irland nicht erlaubt.
Auch Conners Familie zerbricht an der sozialen Not: Vater und Mutter trennen sich, nachdem ihre Ehe vor allem aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen wurde. Die Schwester studiert Architektur, anstatt ihrer Leidenschaft Kunst nachzugehen. Der Bruder Brenan wollte auswandern, um Musik zu machen, steckt nun aber mit nichts als aufgegebenen Träumen zu Hause in Dublin fest.
THINK BIG
Das ist die Message, die Brenan seinem kleinen Bruder eintrichtert. Über den Film hinweg ermutigt er Conner nicht, aufzugeben. Weder bei Rophina noch bei der Musik. Und wie zu Beginn vermutet, soll am Ende beides in Erfüllung gehen: Punktuell etwas verklärt und drüber.
Conner lebt den Traum seines Bruders, indem er sich der Musik verschreibt und Irland verlässt. Rophina entflieht ihrer traumatischen Vergangenheit und ihrem gewalttätigen Ex-Freund. Zusammen und mit einer Menge guter Musik im Koffer brechen sie gemeinsam in eine verheißungsvolle Zukunft nach London auf.
Obwohl der Film Potenzial hat, zu einem konkreten Bruder-Beziehungsdrama zu avancieren und damit den Charakteren zu mehr Tiefe zu verhelfen, bleibt vor allem die Liebesgeschichte zwischen Conner und Rophina hängen, die stereotyper nicht sein könnte: Lonely boy meets crazy girl.
Vielleicht will der Regisseur John Carney aber auch genau das provozieren. Denn am Ende ist es immer noch ein Feel-Good-Movie, der zum Mitsingen, Mittanzen, Lachen und Träumen einlädt. Die Energie der Teenager ist ansteckend und die Outfits und Musik im trendy 80er Jahre Vibe.