Theaterkritik
Touch
Berührungen, Nähe zulassen, Beziehungen aufbauen. Können wir das überhaupt noch? Zeigt Corona vielleicht nur den Abstand, den wir eigentlich vorher schon hatten? Das fragen Falk Richter und Anouk van Dijks mit ihrem Performance Stück Touch in den Kammerspielen.
“Die Wirklichkeit nicht in Ruhe lassen”. Das ist das Motto der Kammerspiele unter der neuen Intendantin Barbara Mundel. Die Erwartungen an den Eröffnungsabend sind groß, denn die Kammerspiele wurden unter Vorgänger Matthias Lilienthal zum “Theater des Jahres 2020” gekrönt. Aufgeführt wird das Stück Touch, das unter der Regie von Falk Richter und Anouk van Dijk die Spielzeit eröffnet. Das Motto haben die beiden gleich umgesetzt, in Touch geht es nämlich um unsere aktuelle Wirklichkeit, genauer gesagt um Corona und was sich gerade in unserer Welt abspielt.
Keine Berührung
Styropor-Blöcke in Form von Eisschollen liegen auf der Bühne der Kammerspiele verteilt. Im Hintergrund laufen Retrovideos über eine Tafel, die aussieht wie eine riesige Chipkarte. Die Performer*innen und Schauspieler*innen kommen von den Seiten, laufen erst zögerlich dann immer rasanter über die Bühne. Aufeinander zu und aneinander vorbei. Sie berühren sich nie. Touch macht die Abstandsregeln, die auf der Bühne gelten gekonnt zum zentralen Thema. Die Performer*innen klettern auf und durch Plexiglashäusschen und tanzen in Schutzanzügen, choreographiert von Anouk van Dijks. Untermalt von rhythmischen Beats und grellen neonfarbenen Kostümen bewegt sich das Ensemble rastlos über die Bühne.
Dauerschleife
Das Stück hat keine lineare Handlung. Szenenhafte Eindrücke sind bunt zusammengewürfelt, zwischen Performance, Tanz und Schauspiel. Anfangs führen Schauspieler*innen Monologe aus einem Tagebuch einer Person im Lockdown. Die Eindrücke und Gefühle, die immer wieder geschildert werden, sind bekannt: obsessiver Youtubekonsum, die Stille in der Nacht, die Zeit die nicht vergeht. Aber trotzdem ist nichts entschleunigt, Unruhe und Sorgen sind präsent. Es geht um Verschwörungstheorien, Existenzängste, den Klimawandel, Tiermissbrauch- kein Problem wird ausgelassen. Das ist alles nicht neu oder originell, bedient sich nur der aktuellen Thematiken und fühlt sich genauso an, wie die Dauerschleife von immer wiederkehrenden Problemen, in der sich unsere Welt gerade befindet.
Eine Zeitreise mit Marie Antoinette
Nachdem alle gegenwärtigen Probleme abgehandelt sind, springt Touch in die Zukunft und realisiert hier sein volles Potential. In einer Art Museum blickt das Stück auf unsere Gegenwart zurück, analysiert unsere Fehler. In einer Szene reist Anne Müller, großartig als Marie Antoinette, durch die Zeit. Sie fragt natürlich, wieso die Armen keinen Kuchen essen, echauffiert sich über Geflüchtete und freut sich dann, dass 69 Geflüchtete an ihrem 69. Geburtstag abgeschoben wurden. In diesem überspitzten Monolog werden veraltete Sichtweisen, die sich bis heute gehalten haben, entlarvt. Die ehemalige Königin wird zum Symbol für weiße Privilegien.
Reizüberflutung und Ruhelosigkeit
Das Stück ist laut, schnell, anstrengend, intensiv. Touch verweilt nirgendwo lange: Es bleibt eher oberflächlich, die Themen berühren die Zuschauer*innen nicht wirklich. Gezeigt wird hier eine Reflexion der Ruhelosigkeit und Reizüberflutung unserer Zeit. In Touch ist Corona aber nicht nur das, was Menschen auseinanderbringt. Es kann auch eine neue Chance sein, endlich die Welt zu verändern. Eine fulminante Spielzeiteröffnung, die die Wirklichkeit wahrhaftig nicht in Ruhe lässt.
Touch wird das nächste mal am 20. Oktober in den Kammerspielen aufgeführt.