M94.5 Serienkritik

White Lines

/ / Bild: Netflix

Dank der Netflix-Eigenproduktion Haus des Geldes haben viele Seriengucker ihren ersten richtigen Serien-Rausch am Stück, auch bekannt als “Bingewatching”, erlebt. Álex Pina ist der Schöpfer des Mega-Erfolgs und versucht mit einer neuen, halb spanischen, halb britischen Serie, seine Position im Serien-Himmel zu festigen. Doch White Lines entpuppt sich leider nicht als würdiger Haus des Geldes-Ersatz.

Axel Collins ist der typische Teenie-Rebell. Er will eigentlich nichts anderes, als den ganzen Tag seiner Passion als DJ nachzugehen und mit seinen Freunden zu feiern – am besten high. Doch das triste Manchester ist dafür nicht der richtige Ort. Also verlässt Axel seine 14-jährige Schwester Zoe und seinen Vater, um auf Ibiza seinen Träumen nachzugehen. Kurze Zeit später verschwindet Axel. Das war 1996. Heute, im Jahr 2020, spült ein Starkregen in einer Halbwüste auf dem spanischen Festland eine Leiche frei. Schnell stellt sich heraus: es ist Axel, der vor über 20 Jahren brutal ermordet wurde. Seine inzwischen erwachsene und verheiratete Schwester Zoe identifiziert das, was von ihrem Bruder noch übrig ist und beschließt, herauszufinden, was damals alles passiert ist.

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Drogen, Partys, ganz viel nackte Haut und seinen Tod: All das findet Axel Collins in den 90ern auf Ibiza.

Doch White Lines fehlt leider dieses gewisse Etwas. Das spanisch-britische Netflix-Original versucht, Zeit- und Handlungssprünge sowie den sehr häufigen Sprachwechsel als seine Markenzeichen auszumachen und sich so von anderen Crime- und Thriller-Serien abzusetzen.

Innovativ gedacht

Die erzählte Handlung ist eine klassische Mord-Geschichte, wie es sie zuhauf auf allen Streaming-Diensten dieser Welt gibt. An der einen oder anderen Stelle wurden die Macher der Serie dann doch etwas kreativer: teilweise werden Szenen und Gespräche gezeigt, die erst später noch um ein paar Dialog-Zeilen oder Handlungsschritte ergänzt werden. So bleibt der Zuschauer zunächst teilweise unwissend und wird erst dann aufgeklärt, wenn es für den weiteren Verlauf der Geschichte wichtig wird. Das zeigt eindrucksvoll, wie sehr kleine Veränderungen nicht nur auf die Handlung, sondern auch auf den Zuschauer Einfluss nehmen.

Hinzu kommt die Sache mit dem “damals” und dem “heute”. Die Idee, einen Mord mit Verzögerung aufklären zu wollen, ist zwar alles andere als innovativ, dennoch hat White Lines ein Detail, das auch die größten Crime-Story-Kenner abholen wird: Der Mord an Axel ist über 20 Jahre her und somit verjährt. Obwohl also keine Strafe droht, lässt sich nach wie vor kein Täter ausfindig machen – denn es geht um viel mehr als das bloße Verbrechen, es geht um Freundschaft, Liebe und Business. Die Spannung bleibt einigermaßen erhalten, jedoch nur, da relativ lange keine wirklich eindeutigen Mordmotive erkennbar sind. Ein letzter Pluspunkt: Das Casting. Viele Figuren werden 1996 und 2020 gezeigt und brauchen daher eine*n jüngere*n Schauspieler*in und jeweils eine passende ältere Version. Hier wurden definitiv ein paar sehr gute Entscheidungen getroffen.

Leider zu viel gewollt

Aber das wars dann auch. Die Charaktere bleiben flach, es gibt viel zu viel hin und her zwischen “damals” und “heute”, zwischen Manchester und Ibiza und zwischen Englisch und Spanisch. All das, was White Lines eigentlich ausmachen sollte, wirkt anfangs interessant, wird dann aber schnell anstrengend. Dadurch fällt es dem Seriengucker erstaunlich leicht, die zehn knapp einstündigen Folgen nicht am Stück schauen zu müssen – und das wollte White Lines- und Haus des Geldes-Schöpfer Álex Pina sicherlich nicht erreichen.

Zoe verzweifelt während ihres Investigativ-Urlaubs auf Ibiza (Bild: Netflix)

Das Netflix-Original dreht sich viel um DJs, Clubs und Partys. Die erwartete Spanienurlaub- und Feier-Musik bleibt größtenteils aus. Viel mehr werden auf die immer gleichen Lieder wie M83s “Outro” zurückgegriffen. Diese Art der musikalischen Untermalung hat der Film- und Serienfan dann doch schon häufig genug gehört, ein neues “Bella Ciao” bleibt aus.

Optisch und inhaltlich stellt das paradiesische Ibiza zwar den größtmöglichen Kontrast zum trüben Manchester dar, dennoch wirkt die Crime-Serie konstant unecht und realitätsfern. Das liegt womöglich an dem Filter, der über jeder Kameralinse zu liegen scheint – um die Gegensätze von “paradiesisch” und “trüb” noch mehr zu betonen. Schade, denn etwas mehr Nähe zur Realität und den Charakteren hätte hier gut getan. Auch der übertriebene und selbst für Briten zu extreme und schlechte Manchester-Dialekt schreckt OV-Zuschauer ab.

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Einer von vielen Zuschauern, die mit White Lines nicht so glücklich sind.

Staffel 2? Nein, danke.

Durch die letzten Folgen muss sich der Zuschauer fast schon durchquälen. Während andere Serien für Spannung pur sorgen, bringt White Lines ein zu schnelles, einfaches und eher langweiliges Ende hervor. Ein Spoiler an dieser Stelle würde viele Zuschauer vor gut zehn Stunden Handlung bewahren – aber das wäre dann doch zu viel des Guten.

Ohne den großen Namen von Serienschöpfer Álex Pina hätte es White Lines womöglich einfacher gehabt. Doch so besitzt das Publikum automatisch eine gewisse Erwartungshaltung, die die spanisch-britische Serie leider nicht erfüllen kann.

White Lines gibt es auf dem Streaming-Anbieter Netflix zu sehen.