Internetnutzung während der Pandemie
Das kann unser Netz!
Die Corona-bedingte “Kontaktsperre” hält die meisten Menschen erfolgreich zu Hause – das lässt die Internetnutzung durch Home Office, Streaming und Gaming in die Höhe schießen. Wir haben Experten und Netzbetreiber gefragt: Kommen unsere digitalen Kapazitäten damit überhaupt klar? Oder droht der “Internet-Kollaps”?
Ganz Deutschland sitzt zu Hause: Die Berufstätigen im Home Office und auch in Sachen Uni läuft vieles nur noch digital. Die Internetnutzung steigt dadurch erheblich: So erreichte Deutschlands “Internet-Drehkreuz”, der weltweit größte Internetknoten “DE-CIX” in Frankfurt am Main, schon am 10. März einen neuen Spitzenwert bei der Datenübertragung mit über neun Terabit pro Sekunde. Alle digitalen Datenströme, die von Deutschland ausgehen oder ankommen, müssen hier durch. “Wir stellen fest, dass sich der durchschnittliche Datenverkehr an den Internetknoten um knapp 10 Prozent, also 800 Gigabit pro Sekunde, gesteigert hat. Die Nutzer sind nun auch tagsüber häufiger und länger online, das merken wir stark”, erklärt Dr. Thomas King, der technische Direktor von DE-CIX.
Zugenommen hat zum Beispiel der Datenverkehr von Videostreaming-Diensten um knapp die Hälfte, das Online- und Cloudgaming um 25 Prozent und der Videokonferenzverkehr hat sich sogar verdoppelt. “Kurzum: Das mobile Surfen nimmt ab, Deutschland surft zuhause im WLAN”, berichtet zum Beispiel auch Vodafone in einer schriftlichen Stellungnahme.
Droht der digitale Shutdown?
Droht jetzt der Internetkollaps? Bei weitem nicht! Der Frankfurter Internetknoten plant immer für ein Jahr voraus und baut sein Netz schon weiter aus, sobald auch nur zwei Drittel der vorhandenen Kapazitäten erreicht sind. So liegt das aktuelle Datenlimit bei 16,5 Terabit pro Sekunde – und damit immer noch deutlich über dem erreichten Spitzenwert zu Beginn der Corona-Krise. Pressesprecher Carsten Titt: “Eine physische Grenze für die Datenrate am DE-CIX gibt es praktisch nicht. Selbst wenn alle Firmen Europas ausschließlich Homeoffice betreiben würden und nebenher noch die Fußball-EM übertragen würde, könnte der Internetknoten die notwendigen Bandbreiten für reibungslose Interconnection bereitstellen.”
Und auch wenn der Datenverkehr im Schnitt steigt, sorgt die Corona-Situation für keine wirkliche Gefährdung der Netzstabilität. Entscheidend ist nämlich, dass der Höhepunkt der Internetnutzung in Deutschland in der sogenannten “Busy Hour” zwischen 20 und 21 Uhr erreicht wird – also zu einer Zeit, wo sowieso kaum jemand mehr arbeiten würde und niemand in der Schule wäre. Zu dieser Zeit, in der die Netzstabilität am ehesten gefährdet ist, sorgt also die Zwangsisolation für keine zusätzliche Steigerung. Festnetzanbieter sind der gleichen Meinung. So verzeichnet die Telekom zwar eine “deutliche Zunahme des Datenverkehrs”, sieht darin aber kein Problem: “Die Netze der Telekom sind stabil, die zusätzliche Belastung ist nicht kritisch.” Und auch Vodafone, Telefonica, M-Net und 1&1 geben sich in Statements zuversichtlich.
Nachholbedarf im ländlichen Raum
Warum aber stand die deutsche Internet-Infrastruktur in Deutschland vor Corona dann so oft und so heftig in der Kritik? Denn leistungsfähig und krisenfest, das zeigt sich jetzt, sind die deutschen Netze. Das Problem ist vielmehr der fehlende bzw. zu langsame Breitbandausbau auf dem Land. Sprich: Viele Haushalte die nicht mitten in der Stadt sind, sind noch nicht mit Glasfaserkabel ausgestattet, sondern nur mit deutlich langsamerem Kupferkabel und können daher nicht am schnellen Internet teilhaben. Ein noch so guter Internetvertrag nützt natürlich nichts, wenn die Leitung zum Haus zu schlecht und bei 10 Megabit pro Sekunde Schluss ist. Internetprobleme in ländlichen Regionen wird es also vorerst weiterhin geben, sie haben aber nichts mit der Corona-Pandemie zu tun.
In einer aktuellen Umfrage der WELT sagten nur 56 Prozent der Befragten, dass sie ihre vertraglich vereinbarte Internetleistung erreichen, während 27 Prozent der Netze “merklich langsamer als sonst” seien. Allerdings liege das nicht an mangelnden Kapazitäten der Netze, erklärt Digitalexperte Christian Scherg. “Probleme gibt es, wenn viele Zugriffe mit hohen Datenraten zur gleichen Zeit erfolgen. Das führt dann dazu, dass bestimmte Leistungen und Dienste instabil laufen.” Vorstellen könne man sich das wie ein Nadelöhr.
Sprich: Wenn Mama Fußball gucken will, während Papa “Desperate Housewives” streamt und der Bruder was auf YouTube schaut, kann es natürlich vorkommen, dass bei mir Fortnite mal wieder laggt. Dabei teilt sich der ganze Haushalt einen Internetanschluss und sorgt gemeinsam dafür, dass die Datenübertragungsrate zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht reicht. Klassisches Familienproblem – und das kann natürlich durchaus durch Quarantäne-Langeweile noch weiter verschärft werden, wenn alle plötzlich zuhause hängen. Schuld ist dann aber nicht das deutsche Netz.
Einzelne Server überlastet
Ansonsten kann das, was fälschlicherweise auf das “schlechte Internet” geschoben wird, auch an den Servern der entsprechenden Dienstleister liegen. “Wenn Kunden subjektiv Verschlechterungen beim Streaming oder Gaming wahrnehmen, liegen die Gründe in aller Regel außerhalb des sehr stabilen Netzes. Hierfür kann es viele Gründe geben, wie die Performance der eigenen Konsole oder zum Beispiel Server-Kapazitäten der Diensteanbieter”, teilt Vodafone mit. Die Gaming-Plattform Steam meldete inmitten der Corona-Krise mit 20 Millionen aktiven Spielern beispielsweise einen Rekord. Und das beliebte Online-Game “Fortnite” brach anfangs unter den deutlich erhöhten Zugriffszahlen zusammen; Weltweit konnten sich Spieler nicht einwählen. Wegen des zunehmenden Home Office ging Microsoft Teams in die Knie und auch YouTube und einige Streaming-Dienste luden stellenweise merklich langsamer.
Doch die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: So verdoppelten die Videostreaminganbieter zum Teil ihre Kapazitäten am Internetknoten “DE-CIX” in Frankfurt; Außerdem haben Netflix, YouTube, Amazon und Facebook ihre Übertragungsqualität um 25 Prozent gedrosselt. “Wir begrüßen diese proaktiven Maßnahmen: So sind alle Inhalte weiterhin in hoher Qualität verfügbar und gleichzeitig können die Netze entlastet werden”, teilte die Bundesnetzagentur dazu in einer Presseerklärung mit. Zwischendurch wurde auch mal eine Komplett-Abschaltung der Streaming-Dienste diskutiert, dann aber schnell wieder verworfen. “Das Netz müsste das aushalten können, es reicht, die Belastung ein bisschen runterzufahren. Gerade, wenn die Menschen nicht raus können, sind Streaming-Dienste einfach wichtig und notwendig”, so Christian Scherg. Zudem widerspräche ein Verbot dem Grundsatz der gesetzlich festgesetzten Netzneutralität: Alle Inhalte im Internet sollen danach gleich viel “wert” sein und gleichbehandelt werden.
Wer jetzt testen will, wie schnell die eigene Internetverbindung gerade ist, für den stellt die Bundesnetzagentur eine kostenlose Online-Breitbandmessung zur Verfügung.