Alben für die Quarantäne #7
The Beatles – The Beatles (White Album)
Pandemie macht wenig Spaß, bietet aber auch Zeit für Musikentdeckungen. Wenn ihr etwas Sinnvolles gegen die Langweile machen wollt, könnt ihr euch zum Beispiel Zeit für ein Gewerbe nehmen, dem gerade droht, seine Existenzgrundlage zu verlieren: Die Kultur- und Musikindustrie. Die M94.5 Musikredaktion präsentiert Euch passend dazu ein paar persönliche Lieblingsalben, die ihr unbedingt mal nachgehört haben solltet…
Stellen wir uns kurz vor, wir müssten in Quarantäne zuhause bleiben. Gut, das ist jetzt nicht besonders schwer, aber wir schreiben nicht etwa das Jahr 2020, sondern befinden uns im November 1968. Ohne Spotify, Youtube und Co. muss man sich sehr gut überlegen, welche Musik man mit in die Isolation nimmt. Verzweifelt durchsuchen wir unseren Plattenladen des Vertrauens nach den besten Werken aus Pop, Soul, Rock und Folk, damit in der einsamen Zeit bloß keine Langeweile aufkommt. Da fällt uns eine eigenartige Platte in die Hände…
Weißes Cover, zwei Vinylscheiben mit insgesamt 30 Songs, darunter so seltsame Titel wie “Honey Pie” oder “Revolution 9”. Nur ein fast nicht sichtbarer Schriftzug auf dem Umschlag verrät uns, was wie hier in den Händen halten: The Beatles, von….naja, den Beatles. Damit ist unsere Quarantäne so gut wie gerettet, denn als Musikkenner:innen wissen wir natürlich, was sich damals schon rumgesprochen hatte und auch heute noch gilt: Dass das sogenannte “White Album” nicht nur was Umfang und Qualität, sondern auch Diversität der Songs angeht, zum Besten der Pop-Geschichte gehört und so ziemlich alle Genres abdeckt, die man 1968 abdecken konnte.
Meditation & Muse
Warum aber dieses Album auch innerhalb der eh schon sehr diversen Beatles-Diskographie ein so besonderes Werk darstellt, hat mehrere Gründe: Zum einen hatten sich die Fab Four im Frühjahr 1968, also etwa ein gutes halbes Jahr nach ihrem monumentalen Erfolg mit Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band, zu einem gemeinsam Trip nach Indien aufgemacht, um dort den Weisheiten des Maharishi Yogi zu lauschen und dabei die kreativen Batterien in der neuen Umgebung wieder aufzuladen. Zwar kamen sich die vier Musiker während dieses “Betriebs”-Urlaubs immer wieder in die Haare, aber dem Songwriting von Lennon und McCartney verhalf der meditative Lebensstil und der Einfluss anderer anwesender Künstler (wie zb. Donovan) zu neuer Blüte. So entstand ein Großteil der Songs des “White Album” bereits dort, und in einigen Songs sind sogar direkte Bezüge zu Indien zu hören.
All Together Now?
Zurück in England verzogen sich die Beatles ohne große Umschweife in die Abbey Road Studios und machten sich ans Aufnehmen. Doch während dieser Sessions entstand eine neue Art von Dynamik, die wiederum zur Besonderheit des “White Album” beitrug: Denn zum einen entwickelten insbesondere Lennon und McCartney immer deutlicher ihren ganz eigenen Stil. Songs wie “Julia” oder “Blackbird” nahmen sie sogar volkommen allein im Studio auf. Andererseits kam es bei den Recordings zu “Yer Blues” oder “Helter Skelter” auch wieder zu einem echten Band-Gefühl, das die Gruppe nach über zwei Jahren ohne Tournee oder sonstigen Auftritt vermisst hatte. Wie Ringo Starr es in einem Interview selber ausdrückte: “Plötzlich waren wir wieder eine Band! Und das war mir immer am liebsten.”
Süße Melodien, krachende Gitarren
Ein Album mit 30 Songs, dass war Ende der 60er Jahre noch etwas absolut Neues. Außer Bob Dylan, der 1966 mit Blonde on Blonde eine der ersten Doppel-LPs überhaupt schuf, trauten sich nur wenige Künstler an ein solches Mammut-Projekt. Doch den Beatles gelang es nicht nur, sich selbst neu zu erfinden – sie zeigten auch der Musikwelt, woran sich die Qualität eines Doppelalbums bemisst. Denn obwohl sich auch auf dem “White Album” der unverkennbare Sound und Stil der Beatles durchzieht, besitzt jeder einzelne Track einen komplett Individuellen Charakter.
Mal singt John Lennon übermüdet von seiner Schlaflosigkeit ( “I’m So Tired”), mal kreischt und schreit er klagend über Depressionen ( “Yer Blues”), und an andere Stelle gedenkt er liebevoll seiner verstorbenen Mutter (“Julia”). Auch Paul McCartney zeigt sich sowohl von seiner sentimentalen (“I Will”), wie auch von seiner extrovertiert-wilden Seite ( “Back In The U.S.S.R.”). Und dass mit “Long, Long, Long” die vielleicht melancholischte Beatles-Ballade auf den Proto-Metal-Song “Helter Skelter” folgt, ist bezeichnend für die damals unvergleichliche Struktur des “White Album”.
Viel mehr als “Na Na Na”
Die großen Hits der Beatles kennt fast jeder und Songs wie “Twist and Shout” oder “Hey Jude” werden sogar auf dem Oktoberfest gegrölt. Wer aber mal die ganze Tiefgründigkeit und emotionale Bandbreite der Musik von Lennon, McCartney, Harrison und Starr in allen Details erleben möchte, dem bietet sich jetzt die beste Gelegenheit dazu: Denn mit dem “White Album” hat man nicht nur die Möglichkeit, innerhalb von 93 Minuten die ultimative Beatles-Erfahrung zu machen, sondern dazu noch dem montonen Quarantäne-Alltag mithilfe sämtlicher Facetten, die die Rockmusik zu bieten hat, zu entfliehen. Wer sich jetzt auf diese Album einlässt, den wird es für immer begleiten – Versprochen!