Alben für die Quarantäne #1
Jean Grae & Quelle Chris – Everything’s Fine
Quarantäne macht wenig Spaß, aber sie ist gerade sehr wichtig. Wenn ihr etwas Sinnvolles gegen die Langweile machen wollt, könnt ihr euch zum Beispiel Zeit für ein Gewerbe nehmen, das gerade seine Existenzgrundlage verliert: Die Kultur- und Musikindustrie. Die M94.5 Musikredaktion präsentiert Euch passend dazu ein paar persönliche Lieblingsalben, die ihr unbedingt mal nachgeholt haben solltet…
Jean Grae und Quelle Chris: Die Definition eines Power-Couples. Mit Everything’s Fine hat das Ehepaar ein Album rausgebracht, das ebenso interessant wie zynisch ist. Die Gesellschaftsparodien nehmen den größten Platz auf diesem Album ein – ohne konstruktive Vorschläge und mit vielen popkulturellen Querverweisen. Musikalisch sind die 13 Songs vollgestopft mit Samples, die das ganze Album wie eine Impro-Session klingen lassen. Die Skits reichen vom Google Übersetzer, bis hin zu gespielten Gameshow Openings, die die Thematik ständig wiederholen: Everything’s Fine – Alles ist gut. Und das, bis auch der letzte Lebenswille im modernen Amerika erloschen ist.
Ein persönlicher Meilenstein
Everything’s Fine ist ein Album, das viele Stränge in sich vereint und das auf die beste Weise. Mit Jean Grae hat Quelle Chris nicht nur eine talentierte MC für das Album gefunden, sondern auch eine langjährige Lebenspartnerin, die er kurz nach Veröffentlichung des Albums geheiratet hat.
Gavin Tennille, aka Quelle Chris, ist schon seit vielen Jahren als Producer und Rapper aktiv und eine renommierte Adresse beim Label Mello Music. Labelkollegen sind zum Beispiel Apollo Brown, Oddisee oder Open Mike Eagle. Seinen Stil zeichnet seine komplett resigniert klingende Stimme aus, die sich alleine deswegen schon passgenau ins Album fügt.
Tsidi Ibrahim, aka Jean Grae, ist deutlich sprunghafter in ihrer Karriere. Schauspiel, Regie, Gesang oder Producing – hat sie alles schon gemacht und gesehen. Einer Sache blieb sie aber immer treu: Der Untergrund-Rap-Szene in New York. Ihr kreativer und technisch trotzdem ultrapräziser Stil sticht bei jeder Einlage in Everything’s Fine heraus. Die Features, die Ausführung und die internationale Anerkennung des Albums, machen Everything’s Fine zu einem Meilenstein für beide.
Dem Untergang entgegenlächeln
Viel zermürbender kann die Thematik eigentlich nicht werden. Das Eigenheim wird immer nur Wunschtraum bleiben, das Leben in der Großstadt saugt einen langsam aber sicher leer und mit dem institutionellen Rassismus in Amerika wollen wir hier erst gar nicht anfangen. Trotzdem haben unsere beiden Protagonisten und die Featuregäste enorm viel Spaß auf dem Album. Die Musikvideos zeigen uns peinliche Prom-Night-Fotos oder selbstprogrammierte 8-Bit Spiele. Dieser Humor, der auch Indie-Künstler*innen wie zum Beispiel Thunder Cat auszeichnet, trieft durch das ganze Album. Da lassen sich sogar die Comedians Hannibal Buress und Eric André für einen Gastauftritt überreden. Die trashige Aufmachung (und vielleicht ja auch die ein oder andere Droge) sind wahrscheinlich auch der Grund warum das Album, so gut es größtenteils auch ist, manchmal einfach nur noch musikalisches Chaos ist. Für dieses Chaos ist Quelle Chris zwar bekannt, aber auf Everything’s Fine konnte seine Partnerin ihn anscheinend überzeugen, sich doch ab und zu zusammenzureißen.
Von unten auf Amerika blicken
Jean Grae und Quelle Chris haben mit Everything’s Fine ein herausragendes Album des amerikanischen Untergrund-Rap veröffentlicht. Aber es ist mehr als nur Rap. Es ist clevere politische Satire, ein Konzeptalbum, das den Namen auch verdient und eine Sampling-Masterclass, die zeigt, wie vielfältig der musikalische Background der beiden ist. Everything’s Fine passt perfekt in die jetzige Zeit und dreht sich (mal wieder) in Dauerschleife auf meinem Plattenteller. Wenn ihr einen Einstieg in die chaotische Welt des Raps abseits der großen Streamingzahlen braucht, habt ihr ihn mit diesem Album gefunden!