M94.5 Theaterkritik
Liebe. Was ist das eigentlich?
Dieser Frage geht das Stück mit dem für dieses Thema seltsam anmutenden Titel “Die Wiedervereinigung der beiden Koreas” von Joël Pommerat nach. In vielen Einzelszenen zeigt er dabei verschiedenste Formen von Beziehung. Regisseur Jochen Schölch inszeniert das ursprünglich französische Bühnenwerk jetzt in deutscher Fassung am Metropoltheater.
Liebe als Krankheit, Liebe als Gesellschaftsspiel, Liebe als Verlust, Liebe als Chaos, Liebe als Freundschaft. Sie tritt an diesem Abend in ganz unterschiedlichen Weisen auf, die viel zitierte Liebe. Da wäre, zum Beispiel, eine Frau, die sich seit 15 Jahren scheiden lassen will, es aber nicht schafft. Ein Mann und eine Frau, die gemeinsam abends auf ihre Partner warten, nur um sie dann beim Techtelmechtel belauschen zu müssen. Eine Frau, die ihren Mann verlässt, “einfach, weil Liebe nicht reicht”.
Alltägliches und Absurdes
In kurzen Szenen, die als eigene abgeschlossene Geschichten funktionieren, werden die bunten Facetten von zwischenmenschlichen Beziehungen ausgelotet. Es geht um Ehepaare, Freund*innen, Liebhaber*innen, Erzieher*innen. Das ist teilweise absurd, dann wieder alltäglich, oft lustig. Jochen Schölch inszeniert mit viel Sinn für Humor, etwa bei einer Hochzeitsszene, in der nach und nach herauskommt, dass der Bräutigam mit allen Schwestern der Braut etwas hatte. Einige Situationen bieten anscheinend auch einen Wiedererkennungswert, denn das Publikum reagiert an vielen Stellen zustimmend. Doch es gibt nicht nur unterhaltsame Szenen. Das Stück bietet auch Gruseliges, Beklemmendes, Trauriges. Besonders die zweite Hälfte beschäftigt sich mit ernsteren Themen wie Demenzerkrankung, Pädophilie, Prostitution, Abtreibung. Das ist spannend, doch leider hat sich da das Format der vielen Kurzgeschichten schon etwas abgenutzt, der Abend ist etwas lang geworden.
Wandelbar und überzeugend
Die Darsteller*innen des Metropoltheaters spielen an diesem Abend mal wieder glaubwürdig und authentisch. Sie beweisen viel Wandelbarkeit, wenn sie von der einen in die andere Rolle der 27 Frauen- und 24 Männerfiguren schlüpfen. Ihre Spielweise berührt, etwa in einer Geschichte, in der ein Mann seiner demenzkranken Frau, gespielt von Nikola Norgauer, jeden Tag erklären muss, wer er ist. Aus der zweiten Reihe kann man die Träne sehen, die Butz Buse über die Wange läuft. Vanessa Eckart schafft es mit Feingefühl eine Frau mit Behinderung zu spielen, die ein Kind erwartet und es behalten möchte, obwohl man ihr zur Abtreibung rät. Auch Lucca Züchner, Hubert Schedlhuber, Paul Kaiser, Thomas Schrimm, Dascha von Waberer, Eli Wasserscheid überzeugen in ihrer Spielweise und bringen den Text von Pommerat zum Klingen. In diesem stecken einige Gedanken über die Liebe, über die es sich lohnt, nachzudenken. Etwa, ob es Liebe ist, wenn man einen Teil von sich im anderen wiederfindet und ob man das, was man dem anderen von sich gegeben hat, zurückfordern kann, wenn die Beziehung in die Brüche geht. Und ist Liebe wirklich schöner, wenn sie kompliziert ist?
Stimmig, aber etwas zu lang
Insgesamt ist Jochen Schölch ein unterhaltsamer Abend mit nachdenklichen Zwischentönen gelungen. Musikalisch untermalt er die Szenerie größtenteils mit Songs von Asaf Avidan, die den Geschichten eine weitere emotionale Ebene verleihen. Das Bühnenbild kommt mit wenigen Requisiten aus, die Dynamik entwickelt sich im Dialog. Manche Szenen sind etwas überzeichnet und am Ende gerät das Stück deutlich zu lang, insgesamt ist der Abend aber anregend und amüsant.
“Die Wiedervereinigung der beiden Koreas” läuft seit dem 16. Januar 2020 im Metropoltheater.