Politik im freien Theater
Decolonize Munich
Eine Tour durch die Münchner Kolonialvergangenheit
Nur noch zwei blasse Abdrücke auf den roten Ziegeln erinnern daran, dass hier einmal eine koloniale Gedenktafel gehangen hat. Bevor sie 1966 zum Alten südlichen Friedhof verlagert worden ist, fand man die Steinplatte, die an die in deutschen Kolonien gefallenen Soldaten erinnern soll, in einer Durchgangshalle im neuen Rathaus München. Sie wurde damals beschädigt, wahrscheinlich aus Protest, deswegen der Umzug. Aber auch an ihrem neuen Zuhause fand die Tafel keinen Frieden: Sie wurde mit antiimperialistischen Sprüchen beschmiert, mit Farbbeuteln beschmissen. Daraufhin kam jemand auf die grandiose Idee, das polarisierende Objekt einfach fünfzig Zentimeter nach oben zu verschieben. Das half auch nichts. Heute findet man die Gedenktafel kaum noch. Sie wurde erneut abgehängt und irgendwo, von Blicken geschützt, hinter ein paar Büschen an die Wand genagelt.
Auf den Spuren des Kolonialismus
Gespannt steht die bunte Gruppe vor den beiden Leiterinnen des Spaziergangs „Decolonize – Tour durch München“, welcher im Rahmen des Festivals „Politik im freien Theater“ stattfindet. Etwa zwanzig Menschen von jung bis alt haben sich an diesem herbstlichen Sonntag in die Kälte gewagt, um in München Spuren des Kolonialismus ausfindig zu machen. Der Abdruck der Gedenktafel am Südfriedhof ist die letzte Station der Tour. Sechs weitere liegen zurück.
Angeboten wird diese pedestrische Geschichtsstunde unter anderem von der Gruppierung „münchen postkolonial“. Mit ihrem Projekt „mapping.postkolonial“ hat sie es sich zum Ziel gemacht, sichtbare, unsichtbare und versteckte Spuren des Kolonialismus in der Landeshauptstadt aufzudecken. Zwar ist München nie das Zentrum kolonialen Geschehen gewesen, dennoch haben die „Dekolonisiererinnen“ über hundert Schauplätze gefunden – von nach Kolonialherren benannte Straßennamen bis zu verschwunden Gräbern von verschleppten Kindern aus Kolonialregionen.
Was bleibt?
Anliegen der Veranstalterinnen ist es, vermeintlich banale Spuren sowohl im Stadtbild, als auch im Alltagsdenken sichtbar zu machen und zu hinterfragen. Denn anders wie etwa die Auseinandersetzung mit dem „dritten Reich“ ,käme, so die Leiterinnen, die Debatte um Kolonialismus zu kurz. Immerhin ist Deutschland einmal die drittgrößte Kolonialmacht gewesen. Trotzdem würden die geschichtlichen Zusammenhänge – auch die mit dem Nationalsozialismus verkürzt dargestellt und an den Rand des Interesses gedrängt. Eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel hat es bisher nicht gegeben. Das kritisiert „münchen postkolonial“.
Denn passé ist die Kolonialgeschichte keineswegs: in den Museen Münchens liegen unzählige Exponate, die als Kriegsbeute nach Deutschland gekommen sind. Zum Beispiel das Tangué im „Museum fünf Kontinente“. Ein prachtvoller Schiffsschnabel aus Kamerun, der im 19. Jahrhundert in den Besitz des Museums für Völkerkunde gelangte. Die Kuratorinnen sind sich einig: nach über 130 Jahren Aufbewahrung gehört das Schmuckstück dem Museum. Doch auch Prinz Kum’a Ndumbe III. aus Kamerun, der sich als Erbe des Tangués sieht, erhebt Anspruch. Wem gehört denn jetzt das umstrittene Objekt? Nach dem Spaziergang wird mir klar sein: der bayerischen Staatsregierung sicher nicht. Die Debatte um das Ausstellungsstück zeigt, wie rassistische und postkoloniale Narrative verdrängt und eine richtige Auseinandersetzung somit verhindert wird. Doch nicht nur in den Museen hat die Kolonialzeit ihre Spuren hinterlassen. Auch – und das ist den Veranstalterinnen der Tour besonders wichtig – in unseren Köpfen spuken die Gespenster des Imperialismus weiter. Gedankenlos schlendern wir durch Kolonialwarenabteilungen im Kaufhaus, die betuchteren unter uns buchen sich im Bayerischen Hof die Suite im Kolonialstil, die 2018 erst eröffnet wurde.
Ein vergessener Teil unserer Geschichte
Oft stehen wir an den Stationen des Spaziergangs und müssen uns mit Geschichten über verschwundene Objekte und Statuen vertrösten lassen, weil viele der kolonialen Spuren bereits entfernt worden sind. Erst fand ich das schade – doch eigentlich zeigt sich durch diese Abwesenheit der kolonialen Geschichte im Stadtbild auch der Umgang mit diesem Thema: es wird nicht hin- sondern viel zu oft weggeschaut. Nach dem Spaziergang bin ich ein bisschen durchgefroren, überladen an Informationen, doch einer Meinung mit den Leiterinnen: Die Debatte um Postkolonialismus verdient mehr Aufmerksamkeit und darf nicht vereinfacht, sondern sollte eher verkompliziert werden.