M94.5 Filmkritik

Leid und Herrlichkeit

/ / Bild: Studiocanal

Es ist der sechste Film des spanischen Kult-Regisseurs Pedro Almodóvar, der in Cannes im Wettbewerb angetreten ist. Dort hat er Antonio Banderas, völlig zurecht, die Auszeichnung als Bester Schauspieler eingebracht, für die Rolle des Filmemachers in der kreativen Krise in “Leid und Herrlichkeit” (im Original “Dolor y Gloria”). Der Regisseur vervollständigt mit seinem persönlichsten Film das inoffizielle autobiographische Tryptichon, das er mit “Das Gesetz der Begierde” (“La ley del deseo”) und “Schlechte Erziehung” (“La mala educación”) begann.

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Trailer zu Leid und Herrlichkeit.

Leid und Herrlichkeit erzählt die Geschichte von Salvador Mallo als klares Alter Ego von Regisseur Almodóvar selbst. Offensichtlich ist sein Körperbau nicht der von Antonio Banderas, aber das ist die Freiheit, die Fiktionen erlauben, so realistisch wie auch dieser Film sein mag. Salvadors Zeiten des Ruhmes liegen bereits hinter ihm, in der Gegenwart befindet er sich praktisch im Ruhestand, da er gegen unerträgliche Schmerzen im Rücken und in der Seele kämpft, die ihn in eine tiefe Depression gestürzt haben.

Ausgehend von der Präsentation einer restaurierten Kopie von Sabor, ein Film, den Salvador vor dreißig Jahren gedreht hat und der zum Klassiker wurde, begegnet er Alberto Crespo (Asier Etxeandia) wieder, den er seit den Dreharbeiten nicht mehr gesehen hat. Trotz der alten Kämpfe beginnen beide, einige Arbeitsprojekte zu teilen – und nebenbei auch ein bisschen Heroin. Wie so oft in Almodóvars Filmen fließen die Vorfälle in der Handlung zufällig vor sich hin, ohne klaren Einfluss auf das Drama, aber letztendlich wirkt es überhaupt nicht unstrukturiert.

Almodóvar empfängt den Zuschauer in seinem Zuhause

“Es sieht aus wie ein Museum!”, sagt Alberto, als er das Haus seines alten Freundes Salvador betritt. Dieses “Museum” ist nichts anderes als die Madrid-Etage des Manchego-Regisseurs selbst, die zu diesem Anlass in ein Filmset umgewandelt wurde. Die abgedunkelte Welt des Regisseurs im sonst von Farbe überfluteten Designerhaus schockiert den treuen Almodóvar-Zuschauer erstmal. Die zahlreichen Kunstwerke, die die Wände schmücken und es schaffen, sich in praktisch jede Einstellung zu schleichen, verlieren durch den sperrigen Alltag des Protagonisten symbolisch auch ihr Leben.

Erinnerungen, Träume und Heroin

Die Erzählung ist fragmentiert und spielt auf zwei zeitlich abgegrenzten Ebenen. Dem luxuriösen Leben des Regisseurs in der Gegenwart stehen die durch das Heroin induzierten, träumerischen Erinnerungen an seine Kindheit gegenüber: das Schwindelgefühl, als er seine Sexualität durch die Begegnung mit dem älteren Eduardo (César Vicente) entdeckt, dem der kleine Salvador das Lesen und Schreiben beibringt; und der Beginn seiner großen Liebe zum Kino, die unwiderruflich assoziiert ist mit dem Duft nach Jasmin und Urin, der seine ersten Kinoerfahrungen in seinem Kindheitsdorf begleitete.

Szenen einer schweren Kindheit sind das, wie sie nun von einem untergegangenen Regisseur romantisiert aufgearbeitet werden können. Trotz der ästhetischen und sentimentalen Schönheit seiner Darstellung des spanischen Innenlands handelt es sich um keine lüsternen oder erzwungen lyrischen Reflexionen. Sehr in Einklang mit dieser Atmosphäre wirkt der Gastauftritt der Flamenco-Pop Sängerin Rosalía, die am Anfang des Films mit Penelope Cruz und anderen Nachbarinnen, immun gegen die erbarmungslose spanische Sonne, in einem Fluss Wäsche wäscht und singt.

Almodóvar setzt sich vor den Spiegel

Die Linie zwischen Autobiographie und Fiktion wird in diesem Film ein klein wenig diffus. Es wird praktisch „Autofiktion“. Antonio Banderas ist der Fetisch-Schauspieler Almodóvars, und Penelope Cruz, die in diesem Film an die Sophia Loren der 70er Jahre erinnert, spielt seine Mutter. Mehr als alles andere tendiert Leid und Herrlichkeit zu einer intensiven Zärtlichkeit, die für viele die formalen Aspekte des Films unwesentlich machen wird. Beim Erinnern und Versöhnen zeigen der Protagonist und sein Schöpfer eine Verletzlichkeit, die über den Tribut hinausgeht, uns einhüllt und somit die Aufmerksamkeit auf den Zuschauer umlenkt.

“Leid und Herrlichkeit” ist ab dem 25. Juli 2019 in den deutschen Kinos zu sehen.