M94.5 Kulturkritik
Der Junge Lord
Die Bühne des Gärtnerplatztheaters verwandelt sich, in Brigitte Fassbaenders Inszenierung von „Der Junge Lord“, in einen Schauplatz von verklemmten Bürgertum und fremder Exotik.
Schon zu Beginn des Stücks füllt sich die Bühne mit eindrucksvollen Kulissen und großen Menschenmassen. Diese bildgewaltige Eröffnung der Inszenierung erinnert sehr stark an eine Szene aus einem Disney Klassiker. Bühnenbildner Dietrich von Grebmer hat keine Mühen gescheut, die Bühne in einen Zirkus der Narren zu hüllen. Es ist ein Spiel zwischen tristen Tönen und prunkvollen Farben und Formen. So landet der extravagante englische Gelehrte Sir Edgar mit seinen Heißluftballon, der von der Decke herabgelassen wird, mitten auf dem Marktplatz von Hülsdorf-Gotha. Die Bewohner sind ganz verblüfft, sie wissen nicht, was sie mit dem Herren und seinem glanzvollen Gefolge anfangen sollen.
Im Hintergrund hängt ein Abbild des Ortes, durch das der Zuschauer mit Hilfe eines Videos geführt wird. Besonders spannend sind die zahlreichen Details, die das Bild fast echt wirken lassen.
Da werden sie doch alle zum Affen gemacht!
Eigentlich ist diese komische Oper nach einem Märchen von Wilhelm Hauff ein recht veraltetes Stück: Der Affe im Kostüm – erzogen von Sir Edgar – hält dem festgefahrenen Spießbürgertum den Spiegel vor die Nase und legt ihre Arroganz und Fremdenfeidlichkeit offen.
Regisseurin Brigitte Fassbaender gelingt es allerdings den klassischen Charme der Oper aufrecht zu erhalten und doch einen unglaublich modernen Bezug herzustellen. Dabei verzichtet sie bewusst darauf das Geschehen in ein modernes Milleu zu packen. Sie erzeugt lieber zeitlose Bilder mit kleinen Details aus der heutigen Zeit: So wird zum Bespiel die Fassade von Sir Edgars Haus mit Worten wie „Schande“ beschmiert. Das erinnert schon sehr an diverse Vergehen an Flüchtlingsunterküfte. Zum Schluss kann nur der in deutsch gelehrte Affe die Bürger beschwichtigen und wird zum Vorbild des ganzen Pulks. Dabei ist unklar, wer sich hier eigentlich zum Affen macht.
Fremde Vielfalt vs. bürgerliches Verklemmtsein
Komponist Hans Werner Henze beschreibt 1973 in einem Brief die Gefühle der Bürger aus seiner Oper „Der Junge Lord“ mit Ausdrücken wie: „romantisches Sehnen“ oder „seelischer Hunger“. So sind die Bewohner ganz vernarrt nach dem Engländer, der sich auch noch anders verhält als erwartet. Der Zwiespalt, zwischen der Hoffnung auf Abwechslung und dem verbitterten Festhalten an bestehenden Normen, entlädt sich schnell in Empörung und Auffuhr. Baronin Grünwiesel, fantastisch gespielt von Ann-Katrin Naidu, kann sich beispielsweise kaum noch halten, als Sir Edgar sie versetzt hat.
Auf überzogen witzige Art und Weise wird mit dem prüden und kleinkarierten Deutschland abegerechnet. Die Komik wird besonders durch die Musik unterstützt. Dirigent Anthony Bramall gelingt es die Zerrissenheit der Bewohner musikalisch zu erfassen. Blasinstrumente sorgen für ein Gefühl von Heimat und Vertrautheit, was immer wieder durch orientalische und moderne Klänge aufgebrochen wird. Dadurch entsteht ein musikalisches Wechelspiel aus Gewohnheit und Exotik. Die stimmkräftigen Chöre erzeugen sowohl komische, als auch bedrohliche Momente.
Die Inszenierung von „Der junge Lord“ ist eine äußerst witzige Reizüberflutung. An der ein oder anderen Stelle zieht sich das Stück ein wenig, was aber durch die vielen Wechsel von Gesang, Kulisse und Kostüm übertönt wird. Der Klassiker mit modernem Bezug ist absolut sehenswert.
Der Junge Lord feierte am 23. Mai im Gärtnerplatztheater Premiere und ist noch bis zum 14. Juni zu sehen.