M94.5-Halloween-Kritik

Was zur Hölloween, München?

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Dass der Freistaat Bayern zu den seltsamsten Konstrukten der Menschheitsgeschichte gehört, ist allgemein bekannt. Wo sonst findet man Menschen, die innerhalb eines Bundeslandes so viele regionale Kleinkriege haben (es gibt keinen „Bayer“. Es gibt Franken, Pfälzer…), Bier trinken als gäbe es kein morgen mehr und Ausdrücke wie „der Butter“ und dialektale Ausfälle wie „Kina“ als astreines Standarddeutsch ansehen? Richtig. Was in Bayern, vor allem aber in der Landeshauptstadt München, noch irritierender ist als die Instagram-Eskapaden von Papa Söder? Die Begeisterung für Halloween.

Die Leidenschaft

Während Halloween in anderen Städten nicht mehr als ein Schulterzucken und vielleicht hier und da einen ausgehöhlten Kürbis hervorbringt, ist in München Land unter. Unzählige Halloweenparties, ob privat oder in Clubs (da ist von der Ü40 Halloween-Rockparty mit DJ Axel bis zu zur „dreckigen“ Sex-o-Ween-Party alles dabei), versammeln feierwütige Münchner, die sich vorher in Halloween-Fachgeschäften mit gruseligen Kostümen eingedeckt haben. Dazu wird Bowle gesoffen, bis die Kirschen wieder an den Bäumen hängen.

Als ich frisch nach München gezogen war, ging ich in ein Piercing- und Tattoostudio, um meinen Tragus entfernen zu lassen. Ich wusste nicht, dass dieser Laden ein Hybrid aus Studio und Halloween-Shop ist und machte den Fehler, ein paar Tage vor dem 31. Oktober ebendiesen Laden aus anderen Gründen als Hallooween aufzusuchen. Vor mir stand eine sympathische Großfamilie mit sieben Kindern, die für alle Kostüme und Zubehör im Einkaufswert von circa 956,43 Euro shoppten. Die neunjährige Tochter Michelle wollte unbedingt das Kostüm „sexy Krankenschwester“ haben

Die Kleiderordnung

Überhaupt, sexy. Als ob es nicht schon bizarr genug wäre, dass in einem konservativen, katholischen Bundesland ein Fest so hochgehalten wird, das zwar irgendwie einen christlich-irischen, aber hauptsächlich einen heidnisch-keltischen Ursprung hat, wird hier aufgesext, was das Zeug hält. Ich werde nie vergessen, wie ich in meinem ersten Münchner Herbst Besuch von meiner Familie bekam. Nichtsahnend gingen wir am 31. in ein ganz normales bayerisches Lokal, in dem aber ein Dutzend Mittdreißiger Halloween feierten. Eine Dame hatte einen roten Catsuit an der so hauteng war, dass man gar nicht hinschauen wollte. Ob seiner Latexbeschaffenheit durchsichtig, konnte man ihre rote Spitzenunterwäsche durchsehen. Auch gut sind Verkleidungen, die rein gar nichts mit Grusel, Blut, Tod oder der eigenen Verblödung zu tun haben.

Jeder soll sich anziehen und verkleiden, wie er möchte. Aber wieso an Halloween? Und warum so oversexed? In München gibt es junge Menschen, die im Alltag rumlaufen wie ihre eigenen Großeltern und Mitglied in einem Verein sind, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, hängende Mundwinkel und Ressentiments gegen alle, die nicht in siebter Generation in Bayern geboren sind, zu pflegen (call it Junge Union). Und solche Leute schnallen sich dann am 31. Oktober Hasenöhrchen auf den Kopf und den Tanga bis unter die Achseln und gehen feiern. Am besten gibt es vorher noch „gruseliges Fingerfood“ – Wiener Würstchen mit Mandeln als Fingernägel, Litischis mit Schokolinsen (sollen Augen darstellen, sehen aber meistens wie Nippel aus, da sind wir wieder beim Thema Sex), Weingummi in Würmerform und Kuchen, die wie Grabsteine geformt sind. Was zur Hölloween? Da kann man sich auch einfach die Zutatenliste des Weingummi-Gewürms durchlesen, da gruselt es einen dann so dermaßen, dass man gar kein Bedürfnis mehr nach sonstigem Spuk hat.

Die Lösung

Verkleiden, Trinken, Essen, Spaß haben. Es könnte doch so einfach sein. Wieso sucht man sich dann einen so fadenscheinigen Grund wie Halloween aus? Fachkundigen Rheinländern fällt es bald wie die Spinnenweben aus der Sieben-Euro-Neunundneunzig-Perücke deiner Nachbarin vor die Augen: die Einwohner dieser Stadt leiden an einem massivem Mangel an Karneval. Die mit dem Karneval einhergehende Lebensfreude zieht sich im Rheinland durchs ganze Jahr, in angenehm homöopathischen Dosen, welche dann in einer Woche am Jahresbeginn ihren fulminanten Höhepunkt finden. „Bäh, ihr habt dort oben diesen Fasching“, sagen sie in München naserümpfend. Nein, wir haben keinen Fasching, wir haben Karneval. Wir sagen ja auch nicht „Freimarkt“ zu eurem Oktoberfest. An Karneval kann man sich verkleiden wie man möchte, ohne irgendwelchen Dresscodes oder dem Zwang, möglichst ekelig/gruselig/sexy zu sein, nachzukommen. Das Einzige, was manchen dort gruselig anmutet, ist der obligatorische Mettigel. Aber was ist denn schon ein kleiner herzhafter Igel im Vergleich zu einem Halloween-Buffet?

HappyHalloween, ihr greisligen Uhus!