Harry-Potter-Marathon
4345 Seiten & 1132 Minuten
Der Moment, wenn ich ein alt bekanntes Buch aufklappe, kann viel magischer sein als eine neue Geschichte anzufangen. Der Moment, wenn einem die ersten Worte entgegenlachen und einen zum Lächeln bringen, weil sie so wunderbar vertraut sind und einen sofort zurückkatapultieren in das achtjährige Selbst – dieses zauberhafte Gefühl löst bei mir nur eine Reihe aus: Harry Potter.
Meine Mission mag vielleicht nicht so gefährlich sein wie gegen Lord Voldemort zu kämpfen, nicht so tapfer sein wie den Basilisken zu töten und nicht so beängstigend wie Dementoren entgegenzutreten. Aber eine Herausforderung ist sie trotzdem. Sieben Bücher, acht Filme und acht Computerspiele in so kurzer Zeit wie möglich. 1132 Minuten Film, 4345 Seiten bedrucktes Papier und endlose Mausklicks um jeden Gegner zu „Expelliarmus“en und jeden Gegenstand zu „Wingardium Leviosa“en. Und obwohl ich jedes Buch mindestens schon sieben Mal gelesen habe und meine Mutter mir früher den Computer weggenommen hatte, weil ich so viel Harry Potter gespielt habe, konnte ich Hogwarts nochmal ganz neu für mich entdecken: Mit Tränen, Lachen, Zittern und Wut. Und nebenbei habe ich auch noch viel Neues gelernt.
An meinem elften Geburtstag war alles perfekt. Ich hatte eine kleine Feier mit Freunden, das Wetter war schön, der Kuchen war lecker. Ich war glücklich, aber trotzdem hatte ein winziger naiver Teil in meinem elfjährigen Ich gehofft, dass irgendwann an diesem Tag eine Eule einen Brief von Hogwarts bei uns abladen würde. Oder am besten sollte gleich Hagrid vorbeikommen, um Bescheid zu sagen, dass ich im Gegensatz zu all diesen Muggel bald in einem Schloss wohnen würde, Aufsätze mit Feder und Tinte schreiben und einen Zauberstab herumschwingen würde. Doch nichts dergleichen passierte, obwohl mein Papa drauf und dran war, mir einfach zum Spaß einen Brief zu schicken.
Es fühlt sich ein bisschen an wie nach Hause kommen, wenn ich “Harry Potter und der Stein der Weisen“ aufklappe und die ersten Worte in meinem Kopf mitsprechen kann. „Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar.“ Die ersten Bücher fliegen praktisch so schnell dahin wie Spieler auf einem Quidditchfeld. Manche laufen gerade einen Marathon auf ihrem Balkon oder im Garten, ich laufe einen mit den Augen. Seite für Seite, Wort für Wort. Bis zum Ende von Band 3 und dann falle ich kurz in ein Loch. Das ist die erste Erkenntnis, die mich bei diesem Lese-/Film-/Spielemarathon trifft. Es ist schwierig, nach „Der Gefangene von Askaban“ wiedereinzusetzen und wenn ich mich zurückerinnere, bin ich bei meinen zahlreichen Versuchen , alle Harry Potter Bücher am Stück zu lesen, oft genau hier hängengeblieben. Vielleicht weil zum ersten Mal die Geschichte nicht bei Harry selbst beginnt, sondern bei einem Muggel (und ganz ehrlich, wen interessieren die schon, wenn man Zauberer und Hexen haben kann). Doch schon gleich bin ich wieder dabei, komplett versunken in das Trimagische Turnier, die Mysteriumsabteilung, die Geheimnisse des Halbblutprinzen und selbst dabei bei der Jagd nach den Horkruxen.
Schaut, liest und spielt man parallel unterschiedliche Teile einer Serie, kann man aber schnell den Überblick verlieren. Besonders ärgerlich, wenn die Familie beschließt, sich beim Filmmarathon anzuschließen, ich mich allerdings alle paar Minuten wieder erinnern muss, welchen Film wir eigentlich gerade schauen. Und dann muss ich die Geschichte nebenbei auch noch meinen Eltern erklären, die die Bücher vor gefühlt 100 Jahren das letzte Mal gelesen haben.
Wer die Filme länger schon nicht mehr gesehen hat, dem kann ich nur einen Marathon empfehlen und dabei vor allem auf die unterschiedlichen Stile der Filme zu achten. Bei vier unterschiedlichen Regisseuren lassen sich deutliche Unterschiede feststellen und wer weiß, vielleicht findet ihr plötzlich einen Film viel besser als damals als ihr ihn zum ersten Mal gesehen habt (Hinweis: „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ ist nicht umsonst von Alfonso Cuarón, einem mehrfach Oscar-ausgezeichneten Regisseur, gedreht).
Der letzte Teil meiner magischen Mission ließ mich nochmal durch die Welt von Zaubertränken, Quidditch und Feuersalamandern wandern – in Spieleform. Ich muss gestehen, hier habe ich noch einen weiten Weg vor mir. Allein der Start hat mich schon ein bisschen aus der Bahn geworfen, weil Teil eins und zwei nicht mehr auf neueren Computern gespielt werden können. Vier Stunden YouTube Tutorials, wie ich dieses Problem umgehen könnte, haben leider nicht zum Erfolg geführt. Ach, wenn ich doch zaubern könnte, dann wär das alles kein Problem („computero renovatio!“). Aber auch hier habe ich einiges über mich gelernt. Vor allem, wie schlecht ich offensichtlich früher beim Computerspielen war. Während ich es damals nie geschafft habe, den vierten Teil der Reihe zu vollenden, habe ich jetzt das ganze Spiel in zwei Tagen abgeschlossen. Ein paar Wochen werde ich Harry aber wahrscheinlich noch durch Hogwarts jagen müssen, bis ich mit diesem Teil meiner Herausforderung fertig bin. Wenigstens kenne ich das Schlossgelände jetzt im Schlaf – Lebensziel erreicht!
“Natürlich passiert es in deinem Kopf, Harry, aber warum um alles in der Welt sollte das bedeuten, dass es nicht wirklich ist?”
Auch wenn Harrys Geschichte nichts Neues ist, ist sie immer wieder aufs Neue spannend, berührend und witzig. Selbst wenn man so viel Zeit am Stück damit verbringt wie ich in den letzten drei Wochen. Manche Charaktere gewinnen sogar dazu, wenn man die Serie in einem Stück liest. Trotzdem bleibt für mich in der Welt im Inneren dieser Bücher, dieser Filme und Spiele, alles beim Alten. Unheil wurde angerichtet, der Schnatz gefangen, die Heiligtümer gesammelt, die Horkruxe zerstört und ganz fleißig Magie studiert. Kurzum: „Alles war gut.“
P.S.: Wer sich jetzt dazu inspiriert fühlt, ebenfalls einen Harry-Potter-Marathon zu starten, dem möchte ich noch ein hervorragendes Interview mit Joanne K. Rowling und Daniel Radcliffe empfehlen und die Einträge von Rowling mit vielen neuen Hintergrundinfos über die Zauberwelt. Nur um ein wenig über dem Abschiedsschmerz, wenn man die Mission endlich abgeschlossen hat, hinwegzuhelfen.